Dazu schrieb Philipp Selldorf im Kölner Stadt-Anzeiger vom 16.12.1992: Es spielt: Das Ratsorchester Es weihnachtet sehr: Parteipolitiker in Königswinter üben sich in Harmonien
Königswinter. Seit es in Deutschland Parteien gibt, üben sich die Pessimisten im Klagelied über den Verfall der politischen Kultur im Lande. Sie sollten nach Königswinter schauen: Dort haben einige Mitglieder des Stadtrates ein veritables Weihnachtsmärchen verwirklicht.
Aller gängigen Vorbehalte und parteilichen Zeterei zum Trotz, der weihnachtlichen Friedfertigkeit zum Gefallen, haben Politikerinnen und Politiker aus Opposition und Gemeinderegierung ein Orchester zusammengestellt, das die Stadtverwaltung mit verschmitztem Unterton als „nennenswerte Bereicherung im vielfältigen kulturellen Leben von Königswinter" bezeichnet.
Die Königswinterer Stadt Musikanten scharen sich um ihren Bürgermeister Herbert Krämer (CDU), der das wohltemperierte Klavier bedient, und dessen Mut zur Musikalität überhaupt erst den Anlaß zur Gründung des pluralistischen Orchesters geboten hat. Ihm assistieren Solisten sämtlicher Couleur: Iris Grupp (SPD, Querflöte), Ilse Kehren (FDP, Blockflöte), Hermann Bracht (CDU, Posaune) und Christof Welters (Grüne, Gitarre).
Die Instrumentation mag kurios erscheinen (auch klingen), aber worauf es schließlich ankam, war der gute Wille da war man dann auch bereit, gewisse Dissonanzen in Kauf zu nehmen. Solche wären übrigens kaum mehr zu vermeiden gewesen, wenn Volker Roth noch hätte mitwirken können. Doch er mußte passen, seine Geige war kaputt.
Bevor das Ensemble den ersten Auftritt wagte, wurde unter Anleitung von Walter Burger noch eine Übungsrunde in der städtischen Musikschule eingelegt. „Eine halbe Stunde, mehr war nicht drin. Aber wir haben schrecklich gelacht", so Flötistin Ilse Kehren. „Ob das Zukunft hat, muß sich noch zeigen" meinte Gitarrist Christof Welters, eher vorsichtig.
Am Samstag trafen die musizierenden Politiker im Altersheim von Oberpleis auf ein kritisches Premierepublikum. Das Orchester bot sein ganzes Repertoire auf, von „Alle Jahre wieder" über „Oh, du Fröhliche" bis zu „Vom Himmel hoch, da komm' ich her" und erhielt trotzdem nur höflichen Beifall. Schnell aber unverdrossen packten die Akteure wieder ein und zogen zur .nächsten Bühne weiter.
Dort folgte eine Stunde später der große Triumph. Diesmal lauschten die Bewohner des Altersheims von Oberdollendorf Römlinghoven dem Ratsensemble, das unerwartet geübte Unterstützung erhielt. Mit der vereinten Stimmkraft des hilfreich eingesprungenen Chores der Christophorus Schule wurde das Konzert ein voller Erfolg, rauschender Applaus wurde Musikanten und Chorknaben zuteil. Der Lohn des Publikums hat das Selbstvertrauen der Musikanten so weit gefestigt, daß sie auch in der nächsten Weihnachtssaison wieder aufspielen wollen.
Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des DuMont Content Center, 50735 Köln - 22.12.2015. |