Kriegsende 1945

 Brückenhofmuseum

Franz-Josef Engelbert

Schade um den schönen Dorfbrunnen

 

Es war März 1945 - wenige Tage vor dem Einmarsch der Amerikaner in Dollendorf.

Die amerikanischen Truppen standen am anderen Rheinufer, hatten die Brücke von Remagen im Handstreich genommen und drangen langsam und vorsichtig in nördlicher Richtung auf die Siebengebirgsorte vor. Das Leben der Bevölkerung spielte sich überwiegend in den Kellern und Bunkern ab.

Unser Haus war nicht unterkellert. Deshalb mußte unsere Familie im Keller des Nachbarhauses Zuflucht suchen. Wir waren sieben Personen: Fünf Erwachsene, ein Kind und ich, damals 14 Jahre alt, die in einem sehr engen Kellerraum (ca. 3,5 x 4,0 x 2,0 m) untergebracht waren. Geheizt wurde dieser Raum durch einen Kanonenofen, dessen Rohr durch das Kellerloch nach draußen führte. Das Kellerloch war von außen zum Schutz gegen Bombenund Granatsplitter durch eine mit Sand gefüllte Holzkiste verbarrikadiert. Dadurch wurde die Belüftung sehr beeinträchtigt. Dies mußte aber im Interesse der Sicherheit in Kauf genommen werden. Die Sauerstoffversorgung war bei längeren Aufenthalten so schlecht, daß eine zur Beleuchtung des Raumes aufgestellte

Kerze erlosch. Zum Keller führte eine aus Ziegelsteinen gemauerte, steile und enge Wendeltreppe, auf der es bei plötzlich einsetzendem Artilleriebeschuß großes Gedränge gab.

Gekocht wurde in den Feuerpausen. Um möglichst schnell von einem Haus zum anderen gelangen zu können, hatte mein Vater den Zaun, der die beiden Grundstücke voneinander trennte, entfernt. Brot gab es bis zum letzten Tag beim Bäcker Wilhelm Schumacher, Königswinterer Straße (jetzt: Bergstr.) 18, der auch während des Beschusses seinen Backofen heizte und damit dankenswerterweise die Brotversorgung aufrecht erhielt. Er buk -nebenbei bemerkt - den besten Blatz im ganzen Dorf.

Die Amerikaner hatten auf der Godesberger Seite Geschütze aller Kaliber in Stellung gebracht, die in unregelmäßigen Abständen auf unsere Rheinseite feuerten. Geleitet wurde das Feuer durch einen Artilleriebeobachter, der fast ständig über uns kreiste und jede Bewegung registrierte. Die meisten Granaten rauschten über uns hinweg, manche trafen aber auch unser Dorf. Man bekam mit der Zeit ein Gespür dafür, ob man in Deckung gehen mußte oder ob die Geschosse über uns

hinwegflogen. In der Nähe des Bahnhofs Niederdollendorf befand sich in der ehemaligen „Lederfabrik" ein Vorratslager der Wehrmacht, in dem überwiegend Schnaps der Marken „Doppelkümmel" und „Bommerlunder" gelagert wurde. Es wurde in den letzten Kriegstagen nur noch halbherzig bewacht, und das ging wie ein Lauffeuer durchs ganze Dorf. Viele wagten sich bei ständigem Artilleriefeuer zum Lager und bedienten sich, stillschweigend von den Wachen geduldet, mehr oder weniger reichlich an den Schätzen. Mein Vater und ich hatten eine Kiste „Doppelkümmel" auf einen Leiterwagen geladen, den wir im Laufschritt nach Hause zogen. Den Schnaps vergruben wir vorsichtshalber in unserem Keller, denn die Amerikaner, vor allem die farbigen, sollten ja unter Alkoholeinfluß wahre Greueltaten vollbringen. So sagte man uns wenigstens. Dieser Schnaps sollte uns später als Tauschobjekt dienen. Bei den Bauern im Oberpleiser Raum gab es dafür Butter, Speck und andere Lebensmittel, und das half über die größte Not hinweg.

Bei einem nächtlichen Feuerüberfall detonierten drei Granaten in unserer unmittelbaren Nähe. Eine schlug auf dem Adolf-Hitler-Platz (jetzt: Neuer Marktplatz) ein, demolierte ein Fernsprechhäuschen und zerfetzte einen der Lindenbäume. Die zweite, wahrscheinlich leichteren Kalibers, explodierte in unserem Hof. Die Splitter zersiebten unseren Schuppen und den innen liegenden Hühnerstall. Wie durch ein Wunder starb nur ein Huhn den Heldentod, die anderen überlebten unverletzt. Das tote Huhn fehl

te jetzt zwar als Eierproduzent, brachte aber andererseits etwas Abwechslung in unseren Speiseplan. Die dritte Granate schließlich war ein Volltreffer, der den Brunnen vor unserem Haus - seinerzeit ein markanter Punkt im Ortsbild - völlig zertrümmerte.

Als wir am Morgen den Keller verlassen konnten, bot sich ein Bild der Verwüstung. Vom Brunnen war nichts mehr heil. Stein- und Basaltbrocken lagen in weitem Umkreis verstreut. Der hinter dem Brunnen stehende alte Lindenbaum mit seinen fünf Stämmen war schwer in Mitleidenschaft gezogen worden. Er hatte fast den gesamten Splittersegen aufgenommen und dadurch unser Wohnhaus vor größeren Schäden bewahrt. Die Umgebung war mit abgerissenen Ästen übersät, und aus der Zuleitung schoß Wasser. Beim nächsten Sturm brach einer der Stämme ab. Zwei weitere mußten wenig später gefällt werden, und schließlich wurde der ganze Baum aus Sicherheitsgründen entfernt. Der Brunnen wurde leider nicht mehr aufgebaut. An dieser Stelle verläuft jetzt der Bürgersteig der Bergstraße.

Dann kam der 18. März 1945. Es war plötzlich völlig ruhig. Kein Granatfeuer. Vereinzelte Gewehrschüsse in weiter Ferne. Und dann waren sie plötzlich da, die Amerikaner. Gepolter im Flur und auf der Kellertreppe. Ein Gewehrlauf schob sich in den Kellerraum. Dahinter ein schwarzes Gesicht unter einem Stahlhelm. Natürlich hatten wir Angst. Was hatten wir doch alles über diese Neger gehört! Ich erklärte ihm auf englisch, dass sich keine deutschen Soldaten mehr in der Nähe aufhielten. Er grinste nur und gab mir ein Stück Schokolade. Nach und nach wagten wir uns aus dem Keller. An einigen

Häusern hingen weiße Fahnen. Für uns war der Krieg, das heißt die unmittelbare Gefahr, zu Ende.

Der Beitrag ist entnommen dem Band „Erinnerungen an eine verworrene Zeit  - Nieder- und Oberdollendorfer Bürger blicken zurück auf die Kriegs- und Nachkriegsjahre“ Band 1, herausgegeben vom Heimatverein Oberdollendorf und Römlinghoven e.V., Königswinter 1996.

Franz-Josef Engelbert (1931 - 2009).

 

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